Die Interviewreihe rund ums Thema Leadership
Wirkungs(k)reise
Als Personalchefin von H&M ist Angela Gallenz indirekt vermutlich für mehr geschmeidig passende Hosen und zufriedene Träger*innen zuständig als irgendjemand sonst in Deutschland oder Österreich. Im LeadersTalk erzählt uns die international erfahrene HR-Expertin, warum es wichtig ist, die eigenen Wirkungskreise zu kennen und von anderen Grundfesten ihres Leaderships.
Das Interview mit H&M HR Manager Region Central Europe Angela Gallenz führten die FUTURE-Trainerinnen Susanne Plaschka und Anita Hußl-Arnold
SP: Angela, in der Wirtschaft herrscht gerade der totale Ausnahmezustand. Welche Rolle spielt für dich Selbstführung in der Krise?
AG: Ich möchte Menschen befähigen und unterstützen. Nicht nur mich selber, sondern diese Power auch aus den Menschen rausholen, damit sie sich selbst und dann wiederum ihre Teams führen können. Das ist für mich ganz klar mein Purpose.
AHA: Habt ihr bei H&M eine Leadership-Philosophie, die Euch hilft, mit der aktuellen Corona-Situation umzugehen?
AG: Wir haben vor 5 Jahren, ein paar Kernkompetenzen klar definiert. Das Wichtigste ist, sich selbst, seine Teams und letztendlich die Welt zu verstehen. Das nächste ist, stetig aktiv zu lernen und zu akzeptieren, was passiert, Resilienz zu entwickeln und für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.
AHA: Inwiefern kommt euch das nun zugute?
AG: Corona gibt weltweit das Tempo vor. Ob wir wollen oder nicht, wir haben das zu akzeptieren. Der Widerstand bringt uns nicht weiter. Je schneller ich die Resilienz entwickle und das Augenblickliche akzeptiere, desto schneller kann ich den Schalter umlegen und mich fragen, was das für mich heißt.
SP: Dann frag ich dich doch gleich: Was heißt das für Dich?
AG: Erst einmal bin ich mir in einem klar: Mein Purpose ist und bleibt nach wie vor der gleiche. Ich kann auch jetzt genauso gut Menschen unterstützen und befähigen wie vor Corona. Wenn man sich allerdings in den Widerstand begibt und hofft, dass alles bald vorbei ist, kann man nichts bewegen. Die äußere Situation ändert sich immer, aber die innere Resilienz zu entwickeln – das zu akzeptieren, was auch immer kommt – die bleibt.
AHA: Was du beschreibst ist ja ein proaktives Akzeptieren, das in die Tat führt, nicht ein ohnmächtiges Akzeptieren aus einer Opferhaltung heraus. Wie befähigt ihr die Menschen, das zu lernen?
AG: Das Wichtigste ist, nicht zu wissen, sondern zu verstehen. Das ist die Kernübung. Was kann ich verändern, was kann ich nicht verändern? Das ist der Circle of Influence, mein Einfluss- oder Wirkungskreis. Viele Dinge kann ich jeden Tag verändern und da brauche ich mich nicht in die Opferhaltung zu begeben. Die sind innerhalb meiner Wirkung.
Aber dann gibt’s eben auch Dinge, die kann ich nicht verändern und um die brauche ich mich auch gar nicht zu kümmern. Hierbei geht es um die Fähigkeit, schnell zu akzeptieren, dass diese Dinge nicht in meinem Wirkungskreis liegen, was aber nicht heißt, dass ich nicht bestrebt bin, meinen Wirkungskreis stetig positiv zu erweitern.
SP: Oft merkt man ja, dass Menschen sich beruflich oder privat in Dinge stürzen, die nicht in ihrem Wirkungskreis sind.
AG: Und darüber dann ewig lamentieren. Oder die Schuld abschieben. Wir sagen dann immer: Kümmere dich um deinen Wirkungskreis. Was kannst du jetzt beeinflussen? Und auch: Don´t blame outside of the circle of your influence. Damit ist viel gewonnen.
AHA: Und damit ist die Opferhaltung schnell ausgehebelt.
AG: Genau. Und als nächstes die Frage „Wofür übernehme ich Verantwortung?“. Denn wenn ich meinen Einfluss kenne, weiß ich auch, wo ich Verantwortung übernehmen kann. Und somit auch, wie ich meinen Wirkungskreis vergrößern kann.
AHA: Wie definiert ihr diese Verantwortung?
AG: Wir haben schon lange aufgehört das im Sinne von Work-Life-Balance zu beschreiben. Wir haben den Blick, dass wir sagen, es gibt das Leben als Gesamtes. Gerade jetzt in diesen Zeiten. Durch die fließenden Übergänge, besonders im Management, kann man nicht mehr sagen, okay, das ist Arbeit und nach der Arbeit kommt das Leben. Nein, Leben und Arbeit gehört zusammen. Man lebt eben. Wenn man das verstanden hat, wird es sehr holistisch.
SP: Ihr definiert Verantwortung als menschliche Grundkompetenz und nicht nur auf die Rolle bezogen?
AG: Ja. Sicher kennt ihr auch Ikigai (japanisches Model für Selbstreflexion und Zufriedenheit), damit haben wir viel gearbeitet. Kenne ich meine inneren Motive? Was treibt mich an? Dabei geht es auch um Mehrwert. Ich nehme immer so gerne das Beispiel von dieser tollen Kollegin. Wir haben unseren MitarbeiterInnen die Frage gestellt: „Was macht Deinen Job aus, kennst Du Deinen Beitrag?“. Diese Verkäuferin meinte, ich weiß das ganz genau. Ich arbeite in der Herren-Classic-Abteilung in Köln und meine Zielgruppe sind junge Männer, die oft das erste Mal einen Anzug kaufen. Für das erste Vorstellungsgespräch oder den ersten Tag im Beruf. Die kommen rein und sind total unsicher, denn sie brauchen den perfekten Anzug, davon hängt gerade ihr Leben ab. Und wenn sie alles gefunden haben, sagt sie ihnen dann noch, „Sie werden den Job bekommen, Sie sehen großartig aus!“. Und das ist ja sehr viel mehr, da geht es um ein Gefühl. Das gilt es herauszuarbeiten: Wo habe ich eine Leidenschaft, wo liegt mein Herz? Und dort liegt dann auch mein Beitrag.
AHA: Befähigung zur Selbstführung und auch zu Selbstwert!
AG: Absolut. Ich durfte so vielen jungen Menschen dank der Modebranche helfen und das macht mich stolz. Wir müssen viel mehr Achtsamkeit kreieren, damit die Menschen ihren Beitrag entdecken können – auch im Großen, ihren „Beitrag für die Welt“. Im Endeffekt ist das wiederum der Wirkungskreis: Zu schauen, was ist bei mir „die Welt“? Wo kann ich Einfluss nehmen, was tue ich selbst Gutes?
AHA: Es gibt bei euch einen sehr offenen Austausch über alle Hierarchien hinweg. Was ist der Ursprung dieser Kultur?
AG: Das war immer so. Unser Gründer hat diese Werte festgelegt. Und die haben sich auch nie verändert, auch wenn das Unternehmen sehr groß geworden ist. Es ist ein Stück weit skandinavische Kultur, die wir über Jahrzehnte verankert haben.
SP: Gründerenergie eigentlich…
AG: Ja. Und in unterschiedlichen Varianten immer wieder aufgefrischt. Es wurde nie vergessen und immer wieder daran gearbeitet. Je größer das Unternehmen wird, desto wichtiger ist die Kultur. Gerade auch jetzt, in Ausnahmezeiten. Und sie zu leben, ist das absolut Wichtigste. Nichts ist schlimmer, als wenn ich eine Kultur vorgebe, die ich gerne hätte, aber sie nicht lebe. Wir sagen immer, auf einen Zettel schreiben, das bringt es halt nicht.
AHA: Mit der Kultur kann man sehr viel gewinnen oder auch verlieren.
AG: Die Kultur, ist das Herz für jedes Unternehmen.
SP: Wie man weiß, ist im Einzelhandel die Personal-Fluktuation relativ hoch. Wie erlebst du das bezogen auf Führungskräfte bei H&M?
AG: Also auf die Führungskräfte gesehen, haben wir eine fast zu niedrige Fluktuation. Einerseits ein tolles Feedback: Die Menschen bleiben unheimlich gerne bei uns. Viele sind 5, 10, 20 Jahre dabei, teilweise auch länger. Aber da ist es dann besonders wichtig, ein flexibles Mindset zu bewahren. Darum haben wir schon vor Jahren einen Prozess in Gang gesetzt, der sich mit dem Leitsatz „Renew ourself everyday!“auf den Punkt bringen lässt. Es geht um das Prinzip des Beginner-Mindsets.
AHA: Festgefahrenes Denken vermeiden. Die Welt ist ja sehr im Wandel…
AG: Eben, es verändert sich alles so rasant, auch vor Corona. Jetzt sehen wir es nochmal deutlicher, wie schnell es gehen kann.
SP: Siehst du in diesen Umbrüchen auch eine Chance?
AG: Absolut. Das eine ist Beginner-Mindset, aber wir drängen auch sehr darauf, in einem Opportunity-Mindset zu sein. Ein Beispiel: Mit meinen internationalen Kollegen aus der Führungsebene konnten wir uns jetzt entschließen, ein Online-Seminar zu buchen, welches diese Inspirationskraft ausschließlich digital vermittelt. Das Seminar heißt The Mighty Heart und ist von der zum Friedensnobelpreis nominierten Britin Scilla Elworthy. Zugeschaltet waren große Impulsgeber von überall auf dem Planeten. Das hat uns einen Entwicklungsschub gegeben, den wir nicht missen wollen, und an dem wir jetzt dranbleiben – auch mit euch, FUTURE, und mit dir Susanne, starten wir jetzt als Ergebnis davon!
AHA: Dieses Opportunity-Denken, wie trainiert ihr das mit den Menschen?
AG: Das eine ist: Immer wieder den Ursprung zu sehen, was ist mein Einfluss, wo kann ich wirken. Ich kann es für mich transformieren, auf meine Ebene und ich kann’s dann auf meinen Wirkungskreis auch ins Tun bringen. Es geht um konkrete Handlungen. Sonst sieht’s der Kunde nicht und der Kollege nicht, sonst wirkt es eben auch nicht. Das zweite ist: Meine eigenen Entwicklungszyklen erkennen und durchzugehen, damit ich mich wieder dem anderen mit meiner vollen Aufmerksamkeit in den Dienst stellen kann.
AHA: Es gibt einen Gegenpol zu Opportunity-Denken und Resilienz stärken und das ist die Angst. Wir wissen alle, dass Angst lähmt, Empathie reduziert, Egoismen fördert etc. Wie geht Ihr mit dem Thema Angst um?
AG: Ich glaube, das Wichtigste ist immer wieder die Selbstreflektion – was passiert wirklich jetzt gerade und das dann erstmal zu verstehen. Zu schauen, was ist die Empfindung und was ist die Realität. Das ist wirklich eine Trainingssache. Und dann die Wirkungskette anzuschauen, wie komme ich von da zu meinem Beitrag.
AHA: Wirklich hinzuschauen, was da unter der Oberfläche ist, kann ja enorme Gewinne fördern.
AG: Genau. Aus der negativen Perspektive gesehen, ist das, was unter dem Eisberg ist, das Hinderliche. Die Hidden Agendas, das Unbesprochene, was unter dem Radar läuft. Und das gilt es eben aufzubrechen. Im positiven Sinne sind das aber die großen Gamechanger.
SP: Eine Frage, der Perspektive.
AG: Ja. Was sind die inneren Motive, welche Einstellung habe ich wirklich?
AHA: Lässt sich diese Art der Perspektive auch auf ein System übertragen?
AG: Ja, vom Silodenken in die Zusammenarbeit. Ich glaube, das ist genau das, worum es geht. Zu verstehen, dass ich nicht mehr in diesem Ego-System bin, sondern dass ich Teil dieses Teams bin und dass ich dadurch einen Mehrwert kreiere. In der Firma und über die Firma hinaus. Noch etwas anderes zum Zwischenmenschlichen: Da finde ich es wichtig das Verständnis zu haben, dass es zwischen Selbstbewusstsein und Egoismus einen riesen Unterschied gibt. Die Menschen merken das.
SP: Mit Blick in die Zukunft, wie weit denkst du als Personalchefin bei H&M voraus?
AG: Ich weiß nicht, ob es vorausdenken ist oder nicht, wenn ich ehrlich bin(lacht). Im Jetzt zu sein, das finde ich wichtig. Und gleichzeitig Entscheidungen aus der Perspektive der Zukunft zu treffen. Meine Aufgabe sehe ich immer mehr darin, die besten Menschen zusammenzubringen. Und ich tue alles dafür, dass diese Menschen einen Raum haben, um ihr Potential und ihre Ideen durchkriegen. Ich bin diesbezüglich wirklich eine Beschützerin.
AHA: Da sind wir dann wieder bei Deinem Wirkungskreis… Und so schließt er sich nun auch für unser Gespräch.
AG: Genau. Es ist wirklich unglaublich, wenn man Anstöße gibt und Möglichkeiten erzeugt, was die Menschen daraus für Ergebnisse kreieren. Und das fließt dann wieder in die eigene Freude und Motivation zurück. Das ist das, was mich selber wieder antreibt. Ein wirklich schöner Kreislauf.
Angela, danke für das Gespräch.
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