Ein Gespräch mit Andrea Rudisch-Pfurtscheller und Wolfgang Steger.
Was ist das Fundament der FUTURE-Methode? Welche Grundannahmen liegen ihr zugrunde? – Vor kurzem erschien das Buch „Leitmetapher Herz“, in dem die Autorin, Andrea Rudisch-Pfurtscheller, ihre jahrelange Forschung zu diesen Fragen publiziert hat. Wolfgang Steger hat mit ihr ein Gespräch darüber geführt. Wir freuen uns ihre Arbeit in unserem Blog vorstellen zu dürfen!
Andrea, du hast viele Jahre über das der FUTURE-Methode zugrundeliegende Menschenbild geforscht und vor kurzem ein Buch darüber publiziert. Was war dein Motiv, dass du diese Arbeit angefangen hast und dann so lange drangeblieben bist?
Lass es mich so ausdrücken, lieber Wolfgang: Es sind wirklich viele Jahre vergangen, bis ich die Forschungsarbeit endlich abgeschlossen habe. 2008 habe ich konkret damit im Rahmen eines Doktoratsstudiums der Pädagogik an der Fakultät für Bildungswissenschaften begonnen – meine Dissertation aber erst im Juli 2017 eingereicht. Es gab Zeiten, in denen ich intensiv forschte, jedoch viele, viele Monate dazwischen, in denen nichts geschah, weil ich keine Zeit hatte bzw. weil ich dieses Forschen und Studieren halt so nebenher machte. Bis ich es eines Tages kapierte – nicht zuletzt durch den klugen „Tritt in den Hintern“ eines Freundes mit der Aussage: „Die Diss muss irgendwann einmal oberste Priorität bekommen, um sie endlich auch abzuschließen.“ Wie recht er hatte! Und was mir dabei besonders bewusst wurde: Ich hatte auch meine Verantwortung gegenüber den Interview-Partnerinnen und Partnern zu tragen. So viele Stunden hatten sie mir insgesamt geschenkt, mir ihr Wissen und ihre Erfahrungen zur Verfügung gestellt. Das durfte nicht einfach im Nirgendwo versanden. Keinesfalls! So gelang endlich das Finale. Und schließlich ermutigte mich mein betreuender Professor Johannes Bilstein dazu, die Dissertation zu publizieren. Also liegt nun dieses Buch vor. Ich freu mich riesig darüber und bin dankbar, dass all das gelungen ist.
Und wie kamst du dazu, über das Menschenbild im FUTURE-Coaching zu forschen?
Mein Motiv, über die Menschenbilder im FUTURE-Coaching zu forschen, reicht weit zurück. Es ist mir übrigens wichtig, die Mehrzahl zu verwenden. Denn es ist nicht EIN Menschenbild dabei herausgekommen, sondern mehrere zentrale Aspekte im Sinne der bereits lange schon erforschten historisch-anthropologischen bzw. pädagogisch-anthropologischen Dimensionen. Schon während meiner eigenen Coaching-Ausbildungszeit bei FUTURE, 2001-2003, wollte ich wissen, wie das FUTURE-Coaching eingeordnet werden kann in das Berufsfeld von Coaching und Beratung und welche bereits entwickelten theoretischen Ansätze und Zugänge hinter diesem Modell steckten. Ich wollte das Fundament erkennen und verstehen – das, was darunter oder besser dahinter liegt. Das hatte mir gefehlt.
Welchen (besonderen) Herausforderungen musstest du dich bei deiner Forschungsarbeit stellen?
Und wie bist du damit umgegangen, welche Wege und Lösungen hast du gefunden?
Die Herausforderungen waren von Anfang an da. Es waren solche, die Forscherinnen und Forscher generell nur allzu gut kennen: Wie nun das Ganze angehen? Welchen Zugang wählen, um zu diesen grundlegenden Erkenntnissen zu kommen? Mir ging es nun ja um so etwas wie Grundlagenforschung: Ich wollte ins Fundament des FUTURE-Modells, die wesentlichen Grundpfeiler herausfinden. Es musste ein geisteswissenschaftlicher Zugang sein, denn auf diesem Gebiet brachte ich durch mein Erststudium die notwendigen Voraussetzungen mit.
Den entscheidenden Impuls für meine konkrete Forschungsfrage erhielt ich schließlich von Professor Johannes Bilstein, meinen späteren Dissertationsbetreuer: In einer Vorlesung erzählte er von der für ihn so spannenden Frage nach impliziten Anthropologien von Studierenden der Pädagogik: Welche impliziten Menschenbilder würden die Studierenden in ihrem Studium leiten? Auf welcher Grundlage und mit welchen Annahmen über die Menschen studierten sie überhaupt Pädagogik? Da war sie, die Frage, nach der ich suchte. Übertragen auf mein eigenes Forschungsinteresse hieß das nun: Auf Basis welcher impliziten Menschenbilder arbeiteten FUTURE-Coaches bzw. baute das FUTURE-Modell auf?
Welche Fragestellungen waren dir in dieser Arbeit wichtig?
Wichtig war mir herauszufinden, wie Coaching anhand des FUTURE-Modells mentalitätsgeschichtlich eingeordnet werden kann – also auch, in welchem Kontext das FUTURE-Modell entstanden ist, welche historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Einflüsse eine Rolle spielten und welche Rolle die Spiritualität in dem Ganzen spielt. Ich wollte herausfinden, auf welchen bestehenden oder vorherrschenden Konzepten die Beratungsform Coaching im Allgemeinen und das FUTURE-Modell im Besonderen aufbaute, um es besser verstehen und vor allem beschreiben zu können. Und ich wollte Antworten auf die Frage, inwieweit sich Coaching und insbesondere das FUTURE-Modell der so erfolgreichen Gesellschaftsströmung des Kapitalismus unterordnet.
Auch wenn mir klar ist, dass du im Rahmen eines solchen Gesprächs nicht das ganze Buch referieren oder zusammenfassen kannst, was waren für dich spannende Ergebnisse, auf die du gekommen bist?
Spannend war für mich der Moment, in dem ich erst richtig kapierte, wie sehr Coaching generell bzw. eben das FUTURE-Coaching „part of the game“ einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft ist. Ich erinnere mich gut an diesen Moment, als ich herausfand, dass die Entstehung des FUTURE-Modells ja genau in die Zeit dieses neuerstarkenden Kapitalismus fiel mit seinem Siegeszug über sozialistische und kommunistische Gesellschaftsmodelle in den 1980er-/90er-Jahren. Ebenso stark ist meine Erinnerung an die Erkenntnis, dass auch New Age und Psychoboom in ebendieser Zeit die generell rasante Entwicklung unterschiedlichster Beratungsformen – und so auch des FUTURE-Modells – unterstützten.
Um einen Bezug zum Kapitalismus kurz zu erläutern: Coaches leisten sehr verkürzt gesagt „Hilfe zur Selbsthilfe“ und begleiten ihre Coachees dorthin, wo diese selbst hinwollen. Den Coachees wird die Verantwortung dafür nicht abgenommen, sondern vielmehr wiederum (zurück)-gegeben. Genau damit macht sich Coaching kapitalistische Geisteshaltungen prinzipiell nützlich: Jede und jeder ist dazu angehalten, selbst die Verantwortung zu übernehmen, um mit dem Wettbewerb des Marktes mitzukommen oder bestmöglich damit umzugehen. Es geht darum, den eigenen Weg und die Art und Weise zu gestalten, wie sie oder er sich dafür fit machen kann, um eben nicht auf der Strecke zu bleiben. Coaching kann dem kapitalistischen Spiel nicht entkommen, auch wenn die Begleitung und Beratung über einen Prozess der Selbstreflexion zu den ureigenen, authentischen Erkenntnissen und Lösungen der Coachees führen soll. Genau darin liegt gleichzeitig nun die Chance zur Emanzipation aus vorgegebenen gesellschaftlichen Rastern, d.h. auch aus kapitalistischen bzw. ökonomistischen Dynamiken.
Faszinierend war auch das Zurückverfolgen des „Konzepts Individuum“ zur Aufklärung und zu Immanuel Kant (z.B. die Bedeutung). Die Individualität bzw. die Bedeutung des Individuums, also jedes einzelnen Menschen in seiner Einzigartigkeit, mit seinem „Wesen“, ist deutlich als ein Ergebnis aus den Interviews hervorgegangen.
Und dann natürlich ganz besonders die Analogien und Bezüge, die sich vom „Paradigma des Herzens“ im FUTURE-Coaching, also dem zentralen Begriff Herz als leitende Metapher im FUTURE-Coaching, zum französischen Mathematiker und Philosophen Blaise Pascal herstellen ließen. Oder auch – immer noch im Zusammenhang mit dem zentralen Begriff Herz – die Analogien, die ich zur sogenannten „Pädagogischen Liebe“ und zum Diskurs der geisteswissenschaftlichen Pädagogik im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert herstellen konnte. Und schließlich die Erkenntnis bzw. das Forschungsergebnis, dass auch die Spiritualität im FUTURE-Coaching bzw. bei FUTURE-Coaches in der Liebe fußt, ausgehend von der Grundhaltung des Paradigmas des Herzens und sich verankernd und akzentuierend in der Agape, der göttlichen Liebe.
Welchen Nutzen könnte jemand, der mit der FUTURE-Methode arbeitet oder der sich für die FUTURE-Methode interessiert, haben, wenn er oder sie dieses Buch liest?
Aus meiner Sicht ist der Nutzen genau das, was ich auf deine zweite Frage geantwortet habe, also das Motiv, das mich zu dieser wissenschaftlichen Arbeit führte… Darf ich hier auf meine Antwort auf deine zweite Frage weiter oben verweisen?
Was hast du selber gewonnen durch die Arbeit an diesem Buch?
Oh, da ist vieles. Zusammenfassen möchte ich dieses Viele im Begriff Bildung bzw. in meinem ganz persönlichen Bildungsprozess, der mir dadurch ermöglicht wurde. Und damit meine ich zum Beispiel auch das, was Platon in seinem Höhlengleichnis veranschaulichen wollte: Ein streckenweise sehr anstrengender Weg, der mich an so manche Grenze brachte und bringt, der beglückt, ebenso wie er wehtut, der desillusioniert, in eine Weite und Klarheit führt, indem er gleichzeitig immer weitere Fragen eröffnet und weitere Auseinandersetzungen fordert …
Das Buch „Leitmetapher Herz – Anthropologische Grundannahmen im Coaching“ ist im ATHENA-Verlag erschienen. Erwerben können Sie das Buch um € 28,00 im FUTURE-Büro oder über den Buchhändler Ihres Vertrauens.
Dr. Andrea Rudisch Pfurtscheller
Andrea Rudisch-Pfurtscheller schloss ihre Coaching-Ausbildung bei FUTURE im Juni 2003 ab. Ihr Doktoratsstudium absolvierte sie am Institut für Erziehungswissenschaften der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck/Österreich. Sie ist Coach und Beraterin in selbständiger Praxis sowie Expertin für Kommunikation bei SOS-Kinderdorf Österreich. Bis 2006 wirkte sie u. a. im Forschungsbereich der internationalen Arbeit von SOS-Kinderdorf.
Wolfgang Steger
Das Gespräch führte FUTURE-Master Trainer Berater Coach Wolfgang Steger.
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