Was HSP im Beruf brauchen, um als Führungskraft, Mitarbeiter oder Selbständige aufzublühen
Ein Blogbeitrag von Nicole Riederer, selbst hochsensible Frau und Mutter und selbständige dipl. LSB, Coach und Trainerin nach der FUTURE-Methode.
„Die Berufswelt ist hart. Wer gewinnen will, muss härter sein. Reiß´ dich zusammen, sei zäh, dann wird was aus dir!“ Stimmen solche Aussprüche, nur weil wir sie oft gehört haben? Oder gibt es nicht auch viele sanftere Wege, die zu einer erfüllten Karriere und einem glücklichen Leben führen? Wege, die es feinfühligen Menschen ermöglichen, trotz oder gerade wegen ihrer Hochsensibilität erfolgreich zu sein.
HSP (highly sensitive person(s)) suchen stets den Sinn in ihrem Tun und möchten auf dieser Welt einen wertvollen, nachhaltigen Beitrag leisten, der ihren Werten entspricht. Dies ist sehr häufig ein wichtiger Faktor für HSP, um in ihrem Beruf glücklich zu sein und ihr Potenzial für sich und das Unternehmen gewinnbringend auszuschöpfen. Berufung hat für HSP einen sehr hohen Stellenwert.
Auch in der Arbeitswelt hängt alles davon ab, den richtigen Platz zu finden – jenen, an welchem die eigenen Fähigkeiten Stärken sind. In welcher Branche und in welcher Position HSP ihr Glück und ihre Berufung finden können, hängt maßgeblich von der Form ihrer Hochsensibilität ab – und den sich daraus ergebenden Stärken.
3 unterschiedliche Arten von Hochsensibilität:
1) Sensorisch sensible Menschen – haben besonders feine Sinneswahrnehmungen (ausgeprägter Gehörsinn, Geruchssinn, etc.).
2) Emotional sensible Menschen – nehmen besonders die Feinheiten in zwischenmenschlichen Bereichen wahr.
3) Kognitiv sensible Menschen – haben ein ausgeprägtes Gefühl für Logik, für „Wahr oder Falsch“, und denken in komplexen Zusammenhängen.
Wertvolle Qualitäten für die Berufswelt, die HSP einbringen:
- Schöpferkraft: HSP möchten erfinden, verbinden und optimieren
- Intuition: ausgeprägtes Gespür dafür, was funktionieren kann und was nicht
- rasches „Learning on the Job“
- Loyalität und Gewissenhaftigkeit, Pflichtbewusstsein als Mitarbeiter*innen und Vorgesetzte
- hohes Harmonieverständnis, gepaart mit besonderer Empathie und Gerechtigkeitssinn
- Qualitätsbewusstsein und Strukturiertheit
- hohe moralische und ethische Werte
- mitreißend und motivierend
- Empathie: rasches Hineinversetzen in andere und gute Zuhörer*innen
- feine Antennen für Missstimmungen und Informationen „zwischen den Zeilen“, können entsprechend deeskalieren
- vielseitiges Interesse gepaart mit viel Energie
- Blick über den Tellerrand – HSP sehen „das große Ganze“
Wir alle haben individuelle Grundbedürfnisse in Bezug auf unsere Umwelt. Wenn diese zu einem gewissen Maße erfüllt sind, erleben wir uns im Fluss und können uns voll und ganz einbringen. HSP bezeichnen folgende Rahmenbedingungen häufig als für sie förderlich.
Rahmenbedingungen, unter welchen HSP aufblühen:
- Handlungsspielraum, Freiheit
- freie Zeiteinteilung innerhalb einer gewissen Struktur
- Eigenverantwortung
- gesehen werden – in ihren Leistungen als auch in ihrem Wesen
- Wertschätzung & Gerechtigkeit
- ruhige Arbeitsatmosphäre ohne Störungen
- Regeneration und Pausen nach intensiven Arbeitsphasen aufgrund schneller Überstimulation (und dadurch erhöhtem Stresslevel), Rückzugsmöglichkeiten
- agile Arbeitsumgebung, crossfunktionale Teams
Neben der eigentlichen Arbeit und den Rahmenbedingungen spielt auch das Anstellungsverhältnis bzw. die Position eine große Rolle dafür, wie HSP ihre Stärken am besten ausspielen können.
HSP als Vorgesetzte
70% aller Hochsensiblen sind introvertiert – das kann dem Anstreben einer Führungsposition natürlich im Weg stehen, muss es aber nicht.
Eine Stärke, die viele HSP vereint, ist der bereits erwähnte Blick aufs große Ganze. Hochsensible sind sehr gute Mediator*innen und Vorgesetzte und können sinnvolle Verbindungen herstellen. Ihr Feingefühl lässt sie intuitiv Trends und Entwicklungen erkennen, die anderen verborgen bleiben.
HSP sind sehr gut darin, Bedürfnisse zu erkennen. Sie können Menschen abholen und finden Worte, die Resonanz und Zustimmung erzeugen. Empathie gilt als eine der wichtigsten Eigenschaften von Führungskräften und HSP verfügen darüber in großen Mengen.
Die wahrnehmende Form des Führens wird übrigens auch im „Future Leadership-Training – Führen durch Mensch-Sein“ als wesentlicher und zukunftsweisender Aspekt betont (mehr dazu unter https://www.future.at/training/leadership-akademie/).
30% der Hochsensiblen sind extravertiert, das scheint auf den ersten Blick das Arbeitsleben „leichter“ zu machen, zugleich stehen diese HSP vor der Herausforderung, die richtige Balance zwischen ihrer Offenheit und ihrem Bedürfnis nach Rückzug zu finden.
In jedem Fall können hochsensible Vorgesetzte unter stimmigen beruflichen Rahmenbedingungen besonders gut Werte und Visionen vermitteln und sehr einfühlsame Chef*innen mit gutem Gespür für Ihre Teams und Mitarbeiter*innen sein, gut auf diese eingehen und die Stärken bestmöglich einsetzen – wiederum ein Vorteil für alle Seiten.
Und entgegen dem Vorurteil, HSP seien weniger belastbar, möchte ich eine Kollegin zitieren: „Man geht davon aus, dass Hochsensible die Reize aus der Umwelt bis zu zehnmal so intensiv wahrnehmen wie normalsensible Menschen. Wenn ich das aushalte, den ganzen Tag, bin ich ja eigentlich extrem belastbar. Es geht darum, sich diese Stärke wirklich bewusst zu machen.“ (siehe auch hier)
HSP als Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen
Am richtigen Platz und im passenden Arbeitsumfeld eingesetzt können hochsensible Mitarbeiter*innen eine große Bereicherung für ein Team und das Unternehmen sein. Die zuvor angeführten Rahmenbedingungen können HSP dabei unterstützen, ihr Potenzial bestmöglich für sich selbst sowie für ihr Team auszuschöpfen.
Mit ihren speziellen Fähigkeiten eignen sich HSP ausgezeichnet, um spezielle Rollen auszufüllen. HSP haben häufig einen weiteren Wahrnehmungshorizont, von welchem das ganze Team profitiert. HSP sind vielseitige Kolleg*innen und umsichtige Teamplayer*innen. Sie schätzen eine förderliche Unternehmenskultur und tragen aktiv dazu bei.
HSP müssen nicht mit Samthandschuhen angefasst werden und benötigen keine Sonderbehandlung – in welcher Rolle auch immer. Zugleich ist es für alle Seiten hilfreich, sich der Merkmale und Bedürfnisse hochsensibler Menschen bewusst zu sein – um ggf. davon profitieren oder auch darauf eingehen zu können. Denn dann blühen diese Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen förmlich auf und können und werden ihr Bestmögliches geben.
HSP als Selbständige
Ich selbst bin eine eher introvertierte HSP und zugleich selbständig. Ich liebe es, mir meine Zeit und meine beruflichen Themenfelder selbst einteilen und nach meinem eigenen Rhythmus arbeiten und kreieren zu können.
In meinem Arbeitszimmer, welches ich mir natürlich mit allen Sinnen meiner Persönlichkeit entsprechend eingerichtet habe, kann ich in aller Ruhe mit meinen Werten und Interessen stimmige Workshops und Vorträge erstellen. Die Coachingarbeit mit meinen Kund*innen gibt mir zumeist genauso viel oder sogar mehr Energie zurück als ich dafür aufwende. Und ich kann mir selbst aussuchen, mit welchen Kund*innen oder Kooperationspartnern ich gerne zusammenarbeiten möchte.
Diese Tätigkeiten erfüllen mich, während andere, ebenso zur Selbständigkeit gehörende Pflichten wie Buchhaltung mich sehr viel Kraft kosten.
Selbstführung – sich selbst eine gute Vorgesetzte sein – ist meiner Meinung nach ein wichtiger Teil der Selbständigkeit. Persönlich bin ich wohl meine strengste Kritikerin und Chefin, Disziplin aber auch ein hohes Maß an Selbstfürsorge gehören zu meinem Arbeitsalltag dazu. Dem Future Leadership-Gedanken entsprechend darf ich mich selbst immer wieder daran erinnern, mich selbst mit Herz, Selbstmitgefühl und Verstand zu leiten und mich stetig weiterzuentwickeln.
Fazit
HSP sind keine „typischen Arbeiter*innen“, die widerspruchslos tun, was immer man ihnen aufträgt. Sie suchen einen tieferen Sinn in ihrer Tätigkeit, den Beitrag zu etwas Größerem und ein Gemeinsam-am-selben-Strang-Ziehen, geprägt von Wertschätzung und Respekt.
Hochsensible Personen verfügen über feine Antennen, die wie gute Seismographen auch kleinste Veränderungen und Signale wahrnehmen können – ob am Markt oder zwischenmenschlich, gegenüber Kund*innen oder im Team. HSP sind häufig Visionär*innen, Kreative und Entwickler*innen.
Wenn die Zukunft für andere Menschen plötzlich hereinbricht, haben sie diese oft bereits von Weitem kommen sehen.
HSP haben einen hohen Selfcare-Bedarf, der in ihre eigene Verantwortung fällt. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der geeigneten Berufswahl. Kombiniert mit einem für sie förderlichen Umfeld, positiver Unternehmenskultur und umgeben von wertschätzenden Menschen, können HSP einzigartige Leistungen abrufen: Großartige Ergebnisse, welche zu sehen wirklich keine Hochsensibilität erfordert.
Mehr zum Thema Hochsensibilität
Weiterführende Beiträge zum Thema Hochsensibilität finden Interessierte Menschen in meiner Blog-Reihe „Meine hochsensible Stärke“ und auf meiner Homepage. https://www.herzensraum-coaching.at/hochsensibilitaet/
Über die Autorin:
Nicole Riederer ist Expertin für Hochsensibilität und Absolventin der FUTURE-Core-Coaching Ausbildung.