Beratung mit Herz eröffnet eine Fülle an Möglichkeiten und beschreibt das Paradigma der Zuwendung – wenn wir in unserer Beratungsrolle nicht nicht nur den Verstand, sondern auch das Herz bewusst mitnehmen. Die Ergebnisse hören nicht auf, mich zu erstaunen …
Wenn ich an „Beratung mit Herz“ denke, kommt mir sofort mein lieber Freund Leo in den Sinn. Leo ist ein erfahrener Organisationsberater. Er hat enormes Fachwissen und die Fähigkeit, dieses Wissen fast täglich in neue Bilder, Konzepte und anschauliche Modelle für seine Kund*innen zu gießen. Was auch immer die Fragestellung ist, in kürzester Zeit kann Leo eine Vorgangsweise mit klingendem Namen anbieten: Das „3×3 Modell“ oder die „4G Methode“ und so weiter und so fort.
Und doch scheint mir, dass es zuallererst etwas anderes ist, das Leo zu jenem außergewöhnlichen und erfolgreichen Berater macht, der er ist. Wann immer ich Leo sehe, geht mir das Herz auf. Es ist eine Freude, mit ihm in Kontakt zu sein. Ich fühle mich von ihm gesehen und gehört. Ich darf so sein, wie ich gerade bin. Und ich glaube, es geht fast allen Menschen so, wenn sie mit Leo zu tun haben. Mir scheint, Leos Herzensqualität macht einen wesentlichen Teil seiner Beraterqualität aus.
Was ich unter „Herzensqualität“ verstehe? Dazu gehören Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit sich jemanden ganz zuzuwenden, Mut und Leidenschaft.
Und einen weiteren wichtigen Aspekt zähle ich dazu: Die Fähigkeit, scheinbar Störendes und selbst unvereinbare Gegensätze von Herzen wahr- und anzunehmen. Das größere Ganze sehen UND darin handlungsfähig zu sein. Das, was ist, von Herzen anzunehmen beschrieb Erich Fried in seinem berühmten Gedicht „Was es ist.“ Unser Verstand kann Gegensätze einordnen, bewerten, analysieren und Lösungen suchen. Ein gedachtes „Es ist, was es ist“ kann uns fokussieren oder auch verdrängen oder resignieren lassen. Ein von Herzen gefühltes „Es ist, was es ist“ ist ein gutes Stück mehr. Es lässt uns – statt aus einem Gefühl des Mangels – aus einem inneren Zustand der Fülle heraus wahrnehmen und handeln. Und diese Fülle wirkt. Wo Menschen aus innerer Fülle heraus agieren, vervielfacht sich Lösungsfähigkeit, Lernbereitschaft und Umsetzungsfreude. Wir können agieren statt zu re-agieren.
Welchen Unterschied macht es für unsere Kund*innen, wenn wir als Berater*innen mit offenem Herzen da sind? Mit unserem Einfühlungsvermögen, Zuwendung, Mut, Leidenschaft und der Bereitschaft, anzunehmen was gerade ist?
Ich erinnere mich an einen Teambuilding-Workshop, in dem mich der Teamleiter an meine Grenzen brachte. Er hörte seinem Team einfach nicht zu, verhielt sich unnahbar und blockte alles an offener Kommunikation im Workshop ab. Und ich? Ich brauchte den liebevollen Stupser meines Kollegen Herwig, um zu merken: Ich hatte mich selbst im Laufe des ersten Tages gegenüber dem Teamleiter verschlossen. Hörte ihm nicht mehr zu. Versuchte, sein „störendes“ Verhalten abzufedern. Versuchte, „trotz“ des Teamleiters einen guten Workshop zu leiten.
Erfreulicherweise hatte ich in dieser Situation meinen Beraterkollegen zur Seite. In einer Pausenreflexion meinte er zu mir: „Ich weiß. Aber du kannst dir sicher sein, der Teamleiter tut sein Bestes“. Das klare Feedback freute mich. Gleichzeitig schämte ich mich – ich hätte mich schon längst selbst an der Nase nehmen und mich an mein Herz erinnern müssen. Also entschied ich bewusst, mich wieder für den Menschen hinter der Rolle des Teamleiters zu öffnen, auf ihn zuzugehen. Ohne Agenda, ohne Absicht ihn zu ändern. Beim Abendessen setzte ich mich neben ihn. Wie aus dem Nichts heraus erzählte er mir unvermittelt von einem schweren Schicksalsschlag. Ich verstand nun mit meinem Herzen und meinem Denken, dass er in diesen Umständen sein absolut Bestes gab. Mein auf ihn Zugehen, bewusst mein Herz zu öffnen, machte einen doppelten Unterschied:
- Ich war wieder im guten Kontakt mit dem Teamleiter.
- Das Verblüffende: Nichts anderes brauchte es von mir – keine neue Strategie, keinen neuen Workshopablauf, keine geänderten Methoden oder Tools. Der Teamleiter war wieder in Kontakt mit seinem Team. Der zweite Workshop-Tag lief rundum gut.
Wo immer ich als Berater herausfordernde Momente erlebe, scheint mir mein Herz die wichtigste Ressource zu sein. Manchmal gelingt es mir, die Menschen mit meinem Herzen zu sehen – statt nur mit meinen Erwartungen, Ansprüchen und vorgefertigten Bildern. Ich sehe dann nicht nur momentane Mängel und Änderungsbedarfe, ich sehe einzigartige Menschen mit einzigartigen Fähigkeiten und Potenzialen. Ich sehe über das „Problem“ hinaus und erlebe auch in schwierigen Situationen Freude und berührende Begegnungen. Wohl gerade über jene Augenblicke schrieb Antoine de Saint-Exupéry „Man sieht nur mit dem Herzen gut“.
Wie kann ich mehr von dieser Herzensqualität in meine Arbeit und mein Leben bringen?
Das Herz lässt sich trainieren. Durch stärkende Reflexion, durch Meditation und langjährig erprobt durch praktikable Übungen aus der FUTURE-Methode. Nicht zuletzt auch durch Begegnung und Aufmerksamkeit, gerade wenn’s herausfordernd wird:
- Indem ich mich zuwende – also „für“ statt „gegen“ jemanden oder etwas agiere.
- Indem ich „Willkommen“ heiße, was ist – also auch das Ungelöste oder Schwierige einfach einmal da sein lasse, ohne mir den Druck zu machen, es sofort verändern zu müssen.
- Indem ich zuallererst zuhöre, um zu verstehen – also nicht um sofort die richtige Antwort parat haben zu müssen. Und das ist vielleicht die größte Herausforderung, gerade für uns Berater*innen!
Nicht immer gelingt es mir, mein Herz zu öffnen. Doch mir scheint: Wann immer es mir bisher gelungen ist, ist etwas Gutes entstanden.
Herzlichen Dank an Leo Baumfeld, der mich im Frühjahr 2023 zu seinem „Wiener Salon“ geladen hat. Mein Impulsvortrag und der anschließende Austausch mit rund 20 Berater*innen im Salon sind die Basis für diesen Blogbeitrag.
Stefan Bauer-Wolf ist systemischer Organisationsberater und FUTURE-Coach.
Mehr dazu, wie FUTURE Beratung Sie unterstützen kann, finden Sie hier.