Nicht nur in der Welt des Spitzensports, auch im Alltag werden von uns ständig Höchstleistungen gefordert. Wie man mit diesem ständigen Druck umgehen und sich seine psychische Gesundheit nachhaltig bewahren kann, erklärt FUTURE-Trainerin Anita-Hussl Arnold in diesem von Ski-Austria geführten Experten-Interview.
Von Profisportlern werden ständig Höchstleistungen erwartet. Sind wir in unserem Alltag ebenso gefordert?
Ja, schließlich treffen beispielweise auch Ärztinnen oder Unternehmer tagtäglich wichtige Entscheidungen, die Auswirkungen auf viele andere haben. Der große Unterschied ist, dass sie dabei im Gegensatz zu Athleten meist nicht unter den Argusaugen der Öffentlichkeit stehen. Jedenfalls entwickelt man erst jetzt ein Verständnis dafür, dass es auch in der Berufswelt nicht nur darum geht, seine Leistungen zu erbringen, sondern dass die eigene psychische Gesundheit Basis des Ganzen ist.
Was bedeutet es für die Psyche, wenn man jeden Tag so unter Druck steht?
Man kann sich das wie ein Gummiband vorstellen, das ständig bis auf Anschlag gespannt ist: Wenn man es nicht irgendwann wieder loslässt, dann reißt es. Es gilt also, dazwischen
immer wieder zu entspannen. Das Gummiband muss flexibel bleiben.
Wie kann das gelingen?
Das Wichtigste ist die richtige Mentalität. Die Psyche braucht genauso Nahrung wie der Körper. Und Nahrung für die Psyche ist für mich Freude beziehungsweise die Fähigkeit, Freude zu entwickeln und zu spüren. Das ist die Grundlage für nachhaltige psychische Gesundheit. Das hört man ja auch oft von Sportlern, die sagen, dass sie mit Spaß in ein Rennen oder einen Bewerb gehen wollen.
Wie lässt sich das im Alltag umsetzen?
Es ist essenziell, dass man die Freude nicht nur im Ergebnis, sondern bereits im Tun empfindet. Natürlich will jeder immer etwas Großartiges leisten, aber wenn man Freude erst dann entwickelt, wenn man sein Ziel erreicht hat, dann ist man stark abhängig davon, ob alles wie gewünscht eintritt. Da spielt dann auch Verbissenheit mit. Gelingt es jedoch, die Freude im Tun, also schon auf dem Weg zum Ziel zu verspüren, dann haben wir eine ganz andere Ausgangsbasis, nicht zuletzt im Hinblick auf mögliche Niederlagen.
Inwiefern?
Wenn ich mich stets nur auf das Endergebnis fokussiere, setze ich mich selbst unter wahnsinnigen Stress. Das Ergebnis kann aber auch von anderen Faktoren abhängig sein, auf die ich keinen Einfluss habe. Das Einzige, was gänzlich meiner Kontrolle unterliegt, ist mein eigenes Handeln – der Weg und wie ich diesen gehe. Das verstehe ich unter mentaler Stärke: auf den Punkt fokussiert sein, wenn es darauf ankommt, aber dann auch wieder loslassen und mich mit Hingabe und Freude anderen Dingen in meinem Leben widmen können. Das ist die große Herausforderung, vor der zum einen Sportler, zum anderen aber auch viele andere Menschen stehen.
Glauben Sie, dass diese buchstäbliche Entspannung heutzutage schwerer fällt als früher?
Ja, insbesondere in Zeiten wie diesen, in denen sich Krisen nicht mehr abwechseln, sondern überlappen. Menschen spüren da schon sehr viel Druck. Zudem leben wir in einer Gesellschaft, die sich stark über Leistungen und Ergebnisse definiert. Auf der anderen Seite ist es heute so leicht wie nie zuvor, Tipps und Hilfe für die psychische Gesundheit zu erhalten, wie man gerade in der Pandemie gut gesehen hat. Wichtig ist, dass man sich sozusagen Pufferspeicher schafft, aus denen man Energie schöpfen kann.
Zum Beispiel?
Ein klassischer Pufferspeicher wäre für mich, dass ich mir Zeiten gönne, in denen nichts auf meiner Agenda steht, ich keinen Ansprüchen entsprechen muss und buchstäblich Löcher in die Luft starren darf. Ich kann nicht ständig Chefin, Managerin oder Profisportlerin sein, da leiden sowohl ich als auch meine Leistungen darunter. Es geht darum, nicht immer tun zu müssen, sondern auch einfach sein zu dürfen.
Vielen fällt das aber nicht einfach, oder?
Ja, weil wir gelernt haben, immer produktiv zu sein und alle Möglichkeiten zu nutzen. Nun gilt es wiederum, zu lernen, uns auch von gewissen Möglichkeiten zu verabschieden. Nur weil ich etwas tun kann, heißt das nicht, dass ich es tun soll, dass es mir guttut, dass es mir Freude macht. Ich kann alles auf der Welt haben, aber ohne Freude bringt mir das nichts: Denn wenn ich nicht in der Lage bin, Freude darüber zu verspüren, habe ich letztendlich nichts.
DENKANSTÖSSE
Grundvoraussetzung für nachhaltige psychische Gesundheit ist das richtige Mindset. Fünf Tipps, wie man ein entsprechendes Bewusstsein dafür schaffen kann.
- DANKBARKEIT
Stell die Dankbarkeit nicht ans Ende, sondern bereits an den Beginn deines Handelns. Starte die Dinge, die du tust, mit Dankbarkeit – dafür, dass du die Möglichkeit hast, etwas zu lernen, etwas zu machen, das du magst.
- URSACHENFORSCHUNG
Forsche nach den Motiven deines Tuns: Was sind die Treiber deines Handelns? Stell dir immer wieder die Frage: Wofür brennt mein Herz?
- VERANTWORTUNG
Übernehme Verantwortung für dein Handeln. Frage dich, was kannst du tun – aber auch, was kannst du nicht tun, was liegt nicht in deinem Einflussbereich? Du hast maximal dein Handeln gänzlich unter Kontrolle, nicht aber das Ergebnis.
- AKZEPTANZ
Nimm das, was jetzt gerade passiert, an und akzeptiere es so, wie es ist – selbst wenn es gerade nicht so läuft, wie es soll. Diese Akzeptanz (auch der schwachen Seiten) macht dich frei, weiterzugehen.
- MOMENTAUFNAHME
Trainiere Achtsamkeit für den Moment. Denke weniger an Vergangenes und Zukünftiges, sondern konzentriere dich auf diesen einen nächsten Schritt, jetzt. Denn: Leben ist soeben.
Vielen Dank für das Gespräch.
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Liebe Anita, wie ein gespanntes Gummiband!! Ein toller Beitrag von dir. Hat mich mal wieder direkt im „VOLLGAS-Modus“ erwischt. Ja auch die zusammengefassten Denkanstöße. Alles bekannt aber im Alltags-Flow nicht greifbar, sondern weit weg. Ein herzlicher Gruß aus dem Allgäu, Uli
Grieß di Uli! Vollgas Modus ist ja ein wichtiger Teil in unserem Leben. Ich bin aber sicher, dass du deinen Sommer gut zu gestalten weißt mit ein paar entspannenden Stunden und einem guten Ankommen bei dir selbst! (Tennis, Selbstcoaching im Wandern, …) freue mich sehr auf ein Wiedersehen! Anita